Der Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) gilt als Vorläufer der Anschauungspädagogik. Seine bekannte Aussage „Lernen mit Kopf, Herz und Hand“ ist auch heute noch aktuell und steht im Zentrum der ganzheitlichen Bildung.
Lernen mit Kopf, Herz und Hand
Ganzheitliches Lernen bedeutet, dass Kinder über mehrere Antennen oder Kanäle Informationen wahrnehmen, aufnehmen und schließlich auch verinnerlichen. Kinder brauchen Lernprozesse, bei denen Erfahren, Entdecken und Erforschen im Zentrum stehen. Das Prinzip „Lernen mit Kopf, Herz und Hand“ verdeutlicht, dass der gezielte Einsatz aller Sinne unsere Denk- und Lernleistung verbessert. Kopf, Herz und Hand bilden eine Lerneinheit und können nicht voneinander getrennt werden. Wissen, Gefühle, Fähigkeiten und praktische Fertigkeiten sind eng miteinander vernetzt. Dieses wichtige pädagogische Prinzip sollten wir bewusst bereits bei jüngeren Kindern einsetzen. Und was bietet sich hierzu besser an als das weite Themenfeld Gesundheit!
Gesund groß werden mit Kopf, Herz und Hand
Die Bausteine Ernährung, Bewegung, Ruhephasen und Entspannung sowie Hygiene und Vorsorgeuntersuchen bilden ein solides Fundamt, um gesund aufzuwachsen. Genau wie das pädagogische Prinzip der Ganzheitlichkeit, gehören diese Gesundheitsbausteine zusammen – sie unterstützen und ergänzen sich. Anhand des Bausteins Ernährung zeigt sich wie Essen und Genießen mit allen Sinnen von klein auf gelernt werden kann. Mit unseren fünf Sinnen: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen können wir Lebensmittel entdecken, kennen- und (wert-) schätzen lernen. Die Sinne werden dabei durch Augen, Ohren, Nase, Mund und Haut repräsentiert. Im Bereich der Sinnesschulung können die einzelnen Sinne separat trainiert werden, im realen Alltag arbeiten unsere Sinnsysteme aber eng zusammen.
Sehen – mit unseren Augen
„Das Auge isst mit!“ Wie wahr doch dieser Ausspruch ist. Sieht das Essen appetitlich aus, d.h. ist es nach unseren Vorstellungen entsprechend zubereitet und auf dem Teller geschmackvoll und erkennbar angerichtet, greifen wir gerne zu. Im Gegensatz dazu, warnen uns jedoch auch unansehnliche bzw. verdorbene Lebensmittel vor dem Essen und können uns so vor krankmachenden Keimen schützen.
Mit den Augen lernen Kinder Lebensmittel kennen: Was gibt es überhaupt für Lebensmittel? Welche Lebensmittel gibt es in der Familie zu Hause – welche gibt es in der Kita? Kinder lernen Lebensmittel über ihre Form, Größe und Farbe kennen und sie lernen diese Lebensmittel je nach Verarbeitungsphase wiederzuerkennen. Es ist für die Erfahrungswelt der Kinder hilfreich, sie immer wieder mit auf eine spannende Entdeckungsreise zu nehmen. Gerade die Lebensmittelgruppen Gemüse und Obst bieten vom Frühjahr bis zum Herbst eine bunte Vielfalt – beim Einkauf auf dem Wochenmarkt oder im Supermarkt oder sogar bei Gartenprojekten gibt es Vieles zu entdecken.
Hören – mit unseren Ohren
Die Älteren unter uns kennen noch die Werbung „…. damit Sie auch morgen noch kraftvoll zubeißen können!“? In diesem Moment ist geräuschvoll zu hören wie jemand in einen Apfel beißt. Auch ohne die Bilder zu sehen, wissen wir alle was gerade passiert ist und wir können uns den Apfel und den Biss hinein gut vor unserem inneren Auge vorstellen. Genauso lernen wir über unser Gehör zu erkennen, wann das Nudelwasser kocht oder ob gerade ein Laib Brot geschnitten wird.
Riechen – mit den vielen Riechzellen unserer Nase
„Hm, riecht es hier herrlich! Da läuft mir schon das Wasser im Mund zusammen!“ Unsere Nase hat etwa 350 Rezeptortypen, die es möglich machen Tausende von Gerüchen zu unterscheiden. Riechen ist eng mit den Gehirnzentren verknüpft, die für unser Erinnerungsvermögen und unser emotionales Empfinden zuständig sind. Gerüche sind für uns schwer zu benennen, daher vergleichen wir Gerüche mit Dingen, die wir kennen. So riecht es nach Kuchen, wenn das Aroma Vanille Verwendung findet oder nach Zwiebeln, wenn lauchartiges Gemüse verarbeitet wird oder „es stinkt wie faule Eier, wenn es unangenehm riecht. Ohne Gefühle, Gedanken und vor allem Erinnerungen können Gerüche für uns nicht harmonieren oder uns warnen. Unangenehme Gerüche und auch ein unappetitlicher Geschmack helfen uns auch auf andere Art: Sie aktivieren unser Brechzentrum und können uns somit möglicherweise vor Schaden bewahren. Es ist uns selten bewusst wie eng Riechen und Schmecken miteinander verknüpft sind. Ist aber einmal unsere Nase durch einen Schnupfen verstopft, merken wir schnell wie fad und geschmacklos das Essen in diesem Moment sein kann.
Schmecken – mit den unterschiedlichen Geschmacksknospen auf unserer Zunge
Die menschliche Zunge kann über entsprechende Geschmacksknospen fünf Geschmacksrichtungen unterscheiden: süß, sauer, salzig, bitter und umami. Umami beschreibt einen herzhaften, fleischigen Geschmack. Neuere Studien liefern Hinweise auf einen sechsten Geschmackssinn, der den typischen Fettgeschmack wahrnehmen kann.
Geschmacksvorlieben oder Abneigungen werden durch Erfahrungen geprägt. Einen großen Einfluss auf das Geschmacksverhalten von Kindern hat das Familienleben. Bei einem abwechslungsreichen Lebensmittelangebot lernen Kinder vielfältige Geschmacksmischungen kennen und mögen. Tendenziell sind diese Kinder offener, neue Lebensmittel zu probieren als Kinder, deren geschmackliche Erfahrungswelt aus einem kleineren und reduzierten Angebot besteht. Auch ändern sich im Laufe des Lebens Geschmacksvorlieben. Der Geschmackssinn für süß ist schon sehr früh gut entwickelt. Die angenehme und sättigende Empfindung für süß vermittelt dem Körper eine schnell zu verwertende Energiequelle, die das Überleben sichert. Bitterer Geschmack hingegen erzeugt von Geburt an zunächst Ablehnung. Die genetische Veranlagung ist vermutlich daraus entstanden, dass viele giftige bzw. für den kleinkindlichen Organismus noch nicht zu verwertende Substanzen bitter schmecken. Mittlerweile ist bekannt, dass unser fein abgestimmter Geschmackssinn durch einen übermäßigen Verzehr von Salz, Zucker und unzähligen Aromastoffen verkümmern kann. Lassen wir es nicht soweit kommen!
Fühlen – mit unseren Händen, mit unserer Haut und auch mit unserem Mund
Gerade jüngere Kinder erkunden die Welt mit den Händen und mit dem Mund. „Be-greifen“ -vom Greifen zum Begreifen, das bedeutet zu verstehen. Unsere Hände ertasten Größe, Form und Oberflächenstruktur von Lebensmitteln. Mit den Händen prüfen wir den Reifegrad von Obst und Gemüse. Im Mund nehmen wir zusätzlich auch die Konsistenz wie beispielsweise das glatte und weiche Gefühl beim Verzehr von Joghurt wahr. Der „Tastsinn“ spielt eine wichtige Rolle, um die Temperatur unseres Essens richtig zu beurteilen: Eigenschaften wie eisig, kalt, kühl, warm, heiß oder zu heiß können über die Sinneszellen der Haut oder (vorsichtig) über die Schleimhäute der Lippen wahrgenommen und beurteilt werden.
Daraus lässt sich schlussfolgern
Alle sinnesorientierten Wahrnehmungen sind mehr als nur physiologische Prozesse, sie sprechen immer die Gesamtheit des Menschen mit seinen erlernten Erfahrungen und Empfindungen an und beeinflussen die daraus folgenden Verhaltensweisen. Lernen durch das eigene Erleben festigt unsere Erfahrungen. Alle Sinneseindrücke müssen für die Beurteilung eines Lebensmittels stimmig sein und zueinander passen, damit wir dieses Lebensmittel auswählen und verzehren.
Nutzen wir die Chance Kinder auf diesem Weg zu begleiten, damit sie sich mit Kopf, Hand und Herz für eine ausgewogene und gesundheitsfördernde Ernährung entscheiden.
INFOBOX
Geschmacksprägung bereits im Mutterleib
- ab der 10. Schwangerschaftswoche bilden sich erste Geschmacksknospen auf der Zunge
- ab der 13. Schwangerschaftswoche reifen die Geschmacksnerven, so dass erste Geschmackseindrücke aufgenommen werden können
- Fruchtwasser und Muttermilch schmecken nach dem Essen, das die (werdende) Mutter zu sich nimmt
Daraus ergibt sich, dass das Erlernen des Ernährungsverhaltens im Mutterleib beginnt und über die Stillzeit und Beikostphase zur gemeinsamen Ernährung am Familientisch fortgeführt wird. Gerade diese ersten Jahre sind prägend für das spätere Ernährungsverhalten.
Kennenlernen und Akzeptanz neuer Lebensmittel
Alle Sinne – sehen, riechen, schmecken, fühlen, hören – sind beim Kennenlernen eines neuen Lebensmittels beteiligt. Multiple Kontakte sind entscheidend, ob ein Lebensmittel später erneut probiert wird, eventuell sogar gemocht wird. Im Schnitt braucht ein Kind 10 bis 15 Kontakte mit ein und demselben Lebensmittel bis es sich entschließt dieses Lebensmittel überhaupt zu probieren.